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Probegottesdienst mit Pfr. Lukas von Nordheim

Predigt zum Israelsonntag - Ein reizendes Geheimnis

Pfarrer von Nordheim hat sich auf die ausgeschriebene, vakante Pfarrstelle in unserer Kirchengemeinde beworben. Mit seiner Ehefrau, Pfarrerin Mareike von Nordheim, hat Pfarrer Lukas von Nordheim einen Probegottesdienst am Sonntag, 16.08.2020 (10. Sonntag nach Trinitatis), um 10 Uhr in der Bergkirche gestaltet. In diesem Artikel können Sie seine "Predigt zum Israelsonntag - Ein reizendes Geheimnis" lesen und hören.

Predigt über Römer 11,25-32 durch Pfarrer Lukas von Nordheim am Israelsonntag, dem 10. Sonntag nach Trinitatis, in der Ev. Bergkirche in Auerbach „Ein reizvolles Geheimnis“

Audioaufnahme der Predigt

Der Friede des einen und einzigen Gottes,

die menschgewordene Liebe Jesu Christi

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit euch allen.

 

Liebe Gemeinde,

allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Wenn man sich – wie wir – gerade kennen lernt, dann liegt bisweilen der geheimnisvolle Reiz des Unbekannten in der Luft. Mit jedem Geheimnis, das man einander entlockt, wächst die Verbundenheit. Geheimnisse reizen ja gerade dadurch, dass nur die Eingeweihten wissen, was sich hinter ihnen verbirgt. Als unser vier Jahre alter Sohn neulich nicht schlafen gehen wollte, da heckte ich mit ihm ein Geheimnis aus und schwupps sagte er Mama schelmisch gute Nacht und kletterte in Windeseile in sein Hochbett. Was es war, kann ich Ihnen freilich nicht verraten.

Aber Paulus, der vertraut uns heute ein Geheimnis Gottes an. Ein Geheimnis das leider über Jahrhunderte der Kirchengeschichte im Dunkel verborgen lag, doch seit es wieder entdeckt wurde, wird es reichlich geteilt und schafft Versöhnung und Verbundenheit zwischen Christen und Juden.

Ich lese aus dem Römerbrief im elften Kapitel.

Die Überschrift lautet: Ganz Israel wird gerettet werden.

Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. Dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.« Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.

Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid,

nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,

so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden

wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist,

damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.

Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam,

damit er sich aller erbarme.[Luther2017](Röm 11, 25-32)

2009. Ich saß im Seminarraum der Theologischen Fakultät in Göttingen und lauschte – während sich eine Erkenntnis an die nächste reihte – gebannt den Ausführungen unseres Dozenten: „Paulus verarbeitet hier im Römerbrief die enttäuschende Erfahrung der ersten christlichen Gemeinden, dass selbst nach Ostern nicht alle Juden glaubten, dass Jesus von Nazareth der Messias, der Sohn und Heilsbringer Gottes ist. Da Gott aber allwissend und allmächtig ist, lautet Paulus Erklärung dafür wie folgt: Tatsächlich hat Gott dafür gesorgt, dass sich ein Teil von Israel vor Jesus Christus verschließt. – Früher sagte man verstockt, wörtlich heißt es verhärtet. – Dieser Zustand soll aber nur so lange dauern, bis die Fülle der Heiden sich ihm, Jesus Christus, zugewandt hat durch Glaube und Taufe. Schließlich wird so ganz Israel [durch Gott] gerettet werden. – Und nebenbei auch alle anderen Menschen und Völker auf Erden. So erklärt Paulus den Heilsplan Gottes für Israel und die Welt. Darum zog Paulus auch von Israel aus in die heutige Türkei und Europa und gründete dort christliche Gemeinden aus Juden-Christen und Heiden-Christen. Paulus war überzeugt, erst wenn die Fülle der heidnischen, also nichtjüdischen Nationen zum Glauben an Jesus Christus gekommen und getauft ist, erst dann wird Jesus zurückkehren und der Jüngste Tag anbrechen und mit ihm das Reich Gottes im Himmel und auf Erden verwirklicht werden.“ Ich meldete mich: „Das bedeutet dann doch, dass die Kirche sich also ganz auf die Verkündigung für Nichtjuden konzentrieren soll. Aber wenn hier so deutlich steht, dass Gott selbst die Juden retten wird, warum gab es dann so lang den kirchlichen Druck zur Judenmission?“ „Das hat damit zu tun, dass Paulus, Israel und die Juden leider als Feinde des Evangeliums bezeichnet.“

„Aber“, warf eine Kommilitonin ein, „Paulus nennt Israel doch im selben Satz auch Geliebte um der Väter und Mütter willen. Was ist denn nun wichtiger?“

„Paulus klärt die Frage ganz eindeutig in den ersten beiden Versen des 11. Kapitels im Römerbrief: »Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Auf keinen Fall! Denn auch ich bin ein Israelit aus der Nachkommenschaft Abrahams, vom Stamm Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er vorher erwählt hat.« Doch leider hatte sich in der Wirkungsgeschichte durchgesetzt die Kirche als das neue, wahre Israel zu verstehen und die Juden als von Gott verworfene Feinde des Evangeliums. Erst ab den 1960er Jahren wurde der Israelsonntag vom Tag der Judenmission zum Tag der Versöhnung und Verständigung zwischen Christen und Juden.“

„War es erst der Holocaust, der ein Umdenken brachte,“ fragte ich und unser Donzent antwortete: „Leider dauerte es noch länger. Nach dem Krieg gab es zwar Schuldbekenntnisse, aber den religiösen Antijudaismus als Schuld der Kirche und Vorläufer des rassistischen Antisemitismus gestand zuerst 1980 die Rheinische Landesynode ein. Dem folgten alle evangelischen Kirchen. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat diese Einsicht 1991 schließlich sogar in ihren Grundartikel geschrieben, auf den alle Pfarrerinnen und Pfarrer ordiniert werden. Ich zitiere: »Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen bezeugt sie (die EKHN) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.«“

Aufgeregt ruft die Kommilitonin: „Dann ist es klar: Religiöser Antijudaismus und rassistischer Antisemitismus sind unvereinbar mit dem christlichen Glauben! Jesus war ja selbst ein semitischer Jude!“

„So ist es,“ stimmt unser Dozent zu. „Für heute ist das Seminar vorbei. Doch wenn sie weiter daran arbeiten wollen, empfehle ich Ihnen Römer 9-11 nochmal aufmerksam zu lesen, sich in den jüdischchristlichen Dialog zu vertiefen und eine Studienreise oder ein Auslandsstudium in Israel.“

Lied: EG+135 So ist Versöhung – Strophe 1

2010 in West-Jerusalem: auf der Dachterrasse des Benediktiner Gästehauses der Dormitio Abtei stehen 21 evangelische und katholische Theologiestudierende, darunter auch meine heutige Frau und ich. Wir blicken auf die Altstadt und beten den Psalm 122: „Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem. Jerusalem ist gebaut als eine Stadt in der man zusammen kommen soll. Wünscht Jerusalem Frieden. Um unserer Geschwister und Freunde willen, wollen wir dir Frieden wünschen.“ Durch die Straßen eilen orthodoxe Juden mit schwarzen Pelzmänteln und -hüten Richtung Klagemauer. In wallenden Burkas mit bunten Kopftüchern zieht eine Gruppe muslimischer Frauen zum Felsendom hinauf, während die Glocke eines armenischen Klosters die Mönche zur Komplet ruft. Sie alle haben ein Ziel. Sie wollen beten, zu Gott, so wie sie es gelernt haben. Sie nennen ihn Adonai, Allah, und Abba, Vater unser. Ich bin beeindruckt von der Vielzahl der Synagogen, Kirchen und Moscheen. Mich reizt es mehr von dem sicht- und spürbaren Glaubensleben zu erfahren und fühle mich zugleich nach meiner Frömmigkeit befragt.

2019 mit einer Gemeindereisegruppe am See Genezareth: Vor uns steht Jaron. Ein mittdreißiger, bärtiger Rabbiner in schwarzem Anzug mit blau-weißer Kippa auf dem Kopf, der uns fröhlich und heiter quer durch die hebräische Bibel führt. Als eine Mitreisende wissen will, wie er selbst denn das Zusammenleben der Religionen erlebe, erzählt er schmunzelnd eine rabbinische Anekdote: „Da sind zwei Männer Samuel und Ruben. Beide sind angesehene Persönlichkeiten der Gemeinde. Aber sie haben Streit. Also geht der Rabbi zu Ruben und sagt: 'Komm, lass uns zu Samuel gehen und Frieden schließen.' Aber Ruben erwidert wütend: 'Nein, dass kann nicht nicht, nach allem was vorgefallen ist! Er soll sich zuerst bei mir entschuldigen!' Da erwidert der Rabbi: 'Ich habe mit Samuel gesprochen. Er hat große Hochachtung vor dir. Er ist beeindruckt von deinen vielen Fähigkeiten, deiner ehrlichen Gottsuche und deinem guten Geschick. Deswegen ist er neidisch auf dich, aber dafür schämt er sich. Er kann das nicht zugeben.' Ruben stutzt: 'Ach so ist das.' Dann lächelt er großzügig und geht federnden Schrittes davon. Schnell läuft der Rabbi zu Samuel, bittet ihn mit Ruben Frieden zu schließen doch Samuel will nicht. Da lächelt der Rabbi und sagt: 'Ich habe mit Ruben gesprochen. Er hat großen Respekt vor deinen Leistungen und deiner Frömmigkeit. Er schämt sich aber, weil er neidisch ist auf dich.“ Samuel stutzt und schlendert schmunzelnd davon. Und so wuchs zwischen zwei gereizten Männern eine im besten Sinne reizende Beziehung.“

Ich verstehe die Worte des Rabbis so: „Juden, Christen, Muslime, Bahai, Drusen und alle, die im Heiligen Land leben, sollen sich gegenseitig anreizen in ihrer Gottsuche. Sie sollen sich mit Blick auf die Frömmigkeit des anderen in einer Art heiliger Eifersucht bemühen noch aufrichtiger zu leben, um gutes Leben und Gerechtigkeit für alle zu fördern und so Gott noch näher zu kommen. Diesen Gedanken hegt schon der gebürtige Jude Paulus, als er über die reizende Beziehung von Juden und Christen im Römerbrief schreibt: Als Apostel der nichtjüdischen Völker […] gelingt es mir vielleicht gerade dadurch, mein eigenes Volk zur Eifersucht zu reizen […]. (Röm 11,13-14*)

Ein beeindruckendes, vorbildhaftes Beispiel für dieses reizende Streben im Angesicht des Nahostkonfiktes traf unsere Reisegruppe an, als wir in den palästinensischen Gebieten bei Betlehem über eine israelische Straßensperre aus Felsbrocken und Geröll kletterten, um zum Tent of Nations zu gelangen, dem Zelt der Nationen von Familie Nassar. An einer langen Tafel zwischen Oliven und Orangenbäumen sitzend und orientalische Gastfreundschaft genießend schweifte unser Blick über die umliegenden Hügel und ihre Häuser. „Auf jedem dieser Hügel steht eine Siedlung,“ sagte Dhaoud, unser Gasgeber. „Und dort verläuft die Mauer – noch. Seht ihr das arabische Dorf dort unten? Wenn dieser Hügel auch zu Siedlungsgebiet wird, wäre das Dorf eingeschlossen. Aber wir weigern uns Opfer zu sein. Gegen Räumungsbefehle wehren wir uns mit Anwälten, schließlich bebaut unsere Familie seit Generationen hier das Land. Und auch wenn manche Siedler kommen, Felder anzünden oder Bäume fällen: Wir weigern uns Feinde zu sein. Jesus sagte: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen. (Mt 5,44) Wir wollen, dass viele hierher kommen, zu uns an den Tisch, auch aus den Siedlungen. Wir wollen, dass sie unsere Geschichte hören und uns ihre Geschichte erzählen. So wollen wir helfen, dass wir uns besser verstehen, um gemeinsam einer guten Zukunft entgegenzugehen .“

Lied: EG+135 So ist Versöhnung – Strophe 2

Kommen wir zurück nach Deutschland, nach Auerbach und Hochstädten. Hierzulande sind mache verunsichert, durch die Sicht- und spürbare Frömmigkeit Hinzugekommener aus den Völkern. Vielleicht kennen die Verunsicherten Paulus' Geheimnis noch nicht? Dann sollten wir sie einweihen. Vielleicht haben sie den Kontakt zum Fundament ihres Glaubens verloren? Dann sollten wir sie in Kirchen und Gemeindehäuser einladen.

Nationalistisch Verirrte verüben Gewalttaten gegen Synagogen und unsere jüdischen Geschwister. Muslime erfahren Anfeindung. Doch wir weigern uns in Gottes Namen Feinde zu sein. Denn die sicht- und spürbare Frömmigkeit anderer, durch Kopftuch und Kippa soll uns nach Paulus anreizen, unser Glaubensleben neu zu beleben; soll uns anreizen wieder miteinander davon zu Sprechen, was unser Leben in Ewigkeit erhält: von dem einen Gott, der uns durch seinen Heiligen Geist tröstet, antreibt und begeistert.

– Jetzt, da in der Bergkirche aus liebevoller Fürsorge das Abendmahl gefastet wird, können wir von der wöchentlichen Schabbat-Feier jüdischer Familien lernen. Setzen wir uns wie sie ein Mal in der Woche abends zusammen an den Tisch, um zu essen, um Gott Danke zu sagen, um Brot und Traubensaft zu teilen mit den Worten: Für dich gegeben.

– Vor der ehemaligen Auerbacher Synagoge steht auf der Gedenktafel ein Zitat aus dem Buch Mose geschrieben, das Juden und Christen gleicher Maßen anreizen. Es lautet: Hüte dich und bewahre deine Seele gut, dass du die Geschichte nicht vergisst, die deine Augen gesehen haben und dass sie nicht aus deinem Herzen komme dein Leben lang. Und tue sie deinen Kindern kund. (5.Mose 4,9)

– Als zu Ostern auch der Kindergottesdienst entfiel, bekam mein dreijähriges Patenkind Julian von seiner Mutter öfter aus der Kinderbibel vorgelesen. Anschließend hatte er viele gute Fragen. Sie reizten mich. Um ihm wirklich verständlich zu antworten, drehte ich für ihn kleine Videos, in denen ich mit Duplofiguren die Passions- und Ostergeschichte nachspielte und erklärte. Begeistert stieg unser älterer Sohn mit ein und brachte neues Leben in das uns scheinbar so bekannte Ostergeschehen.

Reizende Begegnungen können zum Segen für uns werden, gleich ob mit Jüngeren, Älteren oder Andersgläubigen. Sie können uns anreizen, selbst neu sprachfähig zu werden über unseren Glauben. Welche ungeklärten Fragen und Geheimnisse Gottes reizen Sie, ihnen endlich nachzugehen?

Welche gelüfteten Glaubensgeheimnisse möchten Sie mit anderen teilen?

Was entdecken Sie bei Juden, Muslimen und anderen, dass Sie fasziniert oder gar im besten Sinne eifersüchtig macht?

Fragen wir, um Gottes Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Wachsen wir durch die reizende Beziehung zu Andersgläubigen.

Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

Amen.

 

Der Friede Gottes,

der höher ist als alle menschliche Vernunft

bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.


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