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Osterpredigt: Erstaunlich – österliche Sichtweisen von Pfarrer Christof Achenbach

Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Johannes 14,19

Video-Osterpredikt

Erstaunlich unbekümmert

Wenn am Ostermorgen die Glocken läuten, gibt es keinen Grund, bekümmert zu sein. Die Orgel spielt „Christ ist erstanden von der Marter alle“. Diese altvertrauten österlichen Töne sind fähig, alles Irdische weit weg zu tragen. Die eine Strophe genügt, und wir landen sanft auf der besseren Seite der Welt. Die klaren Klänge verbinden sich mit der aufgehenden Sonne. Alle Finsternis weicht. Es gibt keinen Zweifel. In diesem Licht küssen sich Frieden und Gerechtigkeit. Das Wüten der ganzen Welt wird verschlungen in den Sieg der Auferstehung. Dieser Glaube versetzt Berge und ebnet selbst Grabhügel ein. Alle nur erdenkliche Hoffnung geht mit uns heimwärts. So ist Ostern.

Der Anblick des leeren Grabes am Ostermorgen in Jerusalem musste dagegen Zweifel und Entsetzen wecken. Nicht einmal die engsten Vertrauten konnten ahnen, was wirklich geschehen war. Eine Zeit lang hatten sie geglaubt, die Macht des Todes anzweifeln zu können. Dann aber hatten sie zusehen müssen, wie der, von dem sie gehofft hatten, er werde Israel erlösen, qualvoll hingerichtet wurde.

Erschüttert und verstört hatten sie ihren toten Christus vom Kreuz genommen und beigesetzt. Drei Tage später stand das Grab offen und war leer. Die Nachricht verbreitete sich eilends und führte zu zwiespältigen Vermutungen. Der Gedanke, der Hingerichtete hätte aus eigener Kraft das Grab verlassen, lag fern. In den Evangelien findet sich vor der Leidensankündigung Jesu kein Hinweis, dass jemand ernsthaft mit seiner Auferstehung gerechnet hätte.

Erstaunlich kalt

In Friedrich Dürrenmatts Erzählung „Pilatus“ begibt sich der Statthalter Roms persönlich zum Grab. Er hat erfahren, dass einer der drei am Karfreitag Hingerichteten, den seine Soldaten spöttisch „Gott“ nannten, trotz strenger Bewachung spurlos aus dem Grab verschwunden sei. „Als aber nach drei Tagen der Bote früh am Morgen zu ihm gekommen war, der ihm gemeldet hatte, dass der Gott sein Grab in der Nacht verlassen habe ... ritt er sogleich dorthin und schaute lange in die Höhle. Sie war leer, und der schwere Stein, der sie bedeckt hatte, lag zerbrochen auf der Erde.

Langsam wandte er sich um. Ein Sklave aber stand hinter ihm, und der sah des Pilatus Gesicht: Unermesslich war es wie eine Landschaft des Todes vor ihm ausgebreitet, fahl im frühen Licht des Morgens, und wie sich die beiden Augen öffneten, waren sie kalt.“

Nachdem Pilatus den Ort verlassen hat, ändert sich nichts. Sein Horizont endet nun erst recht an den Rändern einer Welt, die strikten Ordnungen gehorcht. Alles bleibt geregelt. Es gelten Befehl und Gehorsam. Es wird geboren, gestorben und begraben, aber nicht auferstanden. Pilatus war einer der Letzten, dem Jesus geantwortet hat. Er hat ihn verhört, aber nicht verstanden. In der Sprache der Macht gibt es weder Himmel noch Verheißung. Nur so kann der Tod das letzte Wort behalten. Die kalten Augen des Prokurators verraten sein leeres Herz. Sein ganzes bisheriges Leben hatte nicht die Kraft, diesen Augenblick zu erfassen. Er hat Ostern verfehlt.

Erstaunlich kurz

„Ihr aber sollt mich sehen“, sagt Jesus den Seinen zum Abschied. Sie verstehen es nicht. Erst im Nachhinein zerreißt das „Aber“ die Gesetze der empirischen Welt und setzt die Zeit neu in Gang. Mitten in ihrer blinden Traurigkeit öffnet der Auferstandene den Trauernden Herz und Augen und beschenkt sie mit einer völlig veränderten Sicht des Geschehens. Er führt sie in ein neues Land. Die Sprache der Angst und die Landschaft des Todes weichen zurück, wenn er spricht. Kein Wort bleibt hinter der Grenze zurück. Kein Gedanke kann beim Alten verharren. Die Wahrheit des Todes wird durch Christus erweitert und überwunden in das Leben der kommenden Welt.

Das Evangelium bringt das mühelos im ersten Licht eines einzigen Tages unter. Ein leeres Grab, eine offene Tür, ein zur Seite gerollter Stein sind nur noch stumme Zeugen einer Welt von gestern. Der Glaube schlägt inmitten dieser Welt die Augen auf. Das Alte ist vergangen. So kurz ist Ostern. Aber es hält ewig. Sekunden genügen, um Herzen in Brand und die Botschaft in Gang zu setzen. Der Himmel hat längst begonnen.

Erstaunlich aktuell

Nicht selten kann erst die Erinnerung eine dunkle Seelennacht in klares Osterlicht versetzen. Im Nachhinein ermuntern alle Ostergeschichten der Evangelien zum Sprung in den Glauben. Doch nur wer sich zum Grab wagt, kann entdecken, dass es niemanden mehr festhält.                                                                                                           Als Maria Magdalena in der Morgendämmerung des dritten Tages aufbricht, sucht ihr Herz einen Toten. Sein Begräbnis stellte auch für sie alle Hoffnung in Frage. Sie kann weder ausdenken noch glauben, was ihr wenige Augenblicke später vor die Augen kommen soll. Am offenen Grab trifft sie einen Unbekannten und denkt, es sei der Gärtner. Auf die Frage nach dem Toten, der hier bestattet wurde, antwortet der Fremde unerwartet kurz und deutlich. Er nennt ihren Namen: „Maria!“ Sie erkennt seine Stimme. Was zwischen die Worte gerät, geht aufs Ganze. Zwei Menschenworte reichen aus, um den ganzen Himmel und die ganze Welt zu umfassen. Alle Kraft, alle Liebe, aber auch aller erlittene Schmerz findet Raum in dieser einen Sekunde. Das ganze Evangelium bewahrheitet sich jetzt. Sie antwortet: „Rabbuni!“, das heißt: „mein Meister!“ Als sie sich umdreht, hat sich die ganze Welt gedreht. Ostern steht nicht am Ende, sondern am Anfang ihres Glaubens. Alles ist anders, sie ist von jetzt an auf der besseren Seite der Welt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen Leben. Amen.


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