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Geistliches Wort zum Sonntag nach Ostern

Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben.

Audiodatei Geistliches Wort zum Sonntag nach Ostern von Karl-Michael Engelbrecht

Johannes 20, 24-29

Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: "Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben." Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: "Friede sei mit euch!" Danach spricht er zu Thomas: "Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!" Thomas antwortete und sprach zu ihm: "Mein Herr und mein Gott!" Spricht Jesus zu ihm: "Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"

Vor ein paar Tagen war dieses Werk des Barockmalers Michelangelo Merisi Caravaccio Titelbild eine Fernsehwerbung, die angesichts der Corona-Pandemie zum medialen Besuch der Bildergalerie im Potsdamer Schloss Sanssouci eingeladen hat.Mich hat dieses Bild zu der Geschichte vom ungläubigen Thomas gleich auf den ersten Blick fasziniert.

Da schlägtJesus mit der Rechten sein Gewandzur Seite, entblößt seinen Oberkörper undpacktmit derLinken das Handgelenk des Thomas. Der hat seinenZeigefinger forschend ausgestreckt undJesus führt den Finger direktin seineoffene Seitenwunde. Die hatteeiner der Soldaten des Pilatus dem Gekreuzigten,post mortem,mit einer Lanze zugefügt, bevor sie ihn vom Kreuz genommenhaben.Der Evangelist Johannes sieht darin eine Weissagung des Propheten Sacharja erfüllt und ein Zeugnis für die göttliche Wahrheit in Jesus Christus.

Der kommtin unserem Evangelium eine Woche nach Osternin das Haus, wo sich dieJünger aufhalten. An den Wunden der Kreuzigung gibter sich zu erkennen. Thomas allerdings istnicht dabei.Später glaubter den anderen deshalb nicht, als sie sagen: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Ihm reicht es nicht, was sie sagen. Er hat seine Zweifel und gibt sich nicht mit ihren Wortenzufrieden. Er will selbstsehen, erkennenundbegreifen.

Auf dem Caravaccio-Bild wirkt Thomas äußerst konzentriert und angestrengt. Seine Stirn liegt in Falten, die Muskeln am Hals sind gespannt.Sein scharfer Blick dringtüber den Finger in die Wunde. Sein ganzer Körper beugt sich in diese Richtung. Ohr, Auge und Finger sind auf einer Linie. Die Nase schwebt über dem Nägelmal an Jesu Hand. Mit der linkenHand stützt sich Thomas an der eigenen Hüfte ab. Die Spannung bewirkt, dass die Naht seines Obergewands an der Schulter reißt oder wenigstensklafft. Thomashält das Anstößige der Situation aus. Er tut, was er soll und muss. Er wehrt sich nicht. Auf mich wirkt er fast wie ein Arzt, der verantwortungsvoll handelt und einen Eingriff vornimmt, wie unappetitlich die Sache auch sein mag. Wie Assistenten schauen ihm dabei zwei andere Apostel über die Schulter. Auch sie sindangespannt und konzentriertbei der Sache. Der in der Mitte hinter Thomas ist wohl Petrus, erkennbar an seinerhohen Stirn. So wirder immer wieder dargestellt. Und Jesus stellt sich nicht nur als Objekt der Untersuchung zur Verfügung, sondern er istmit seinem prüfenden Blick, seinem Eingreifenund seinerganzen Körpersprache zugleichermutigenderAnleiter und Lehrer. Auf die ganze Szene fälltLicht von oben.Es erleuchtet auch den forschenden Zweifler, der in der Geschichte am Ende seiner Lektion erkennt, wen er vor sich hat. So kanner sich zu dem Auferstandenen bekennen mit den Worten: „Mein Herr und mein Gott!“

Berührungen sind in vieler Hinsicht ein heikles Thema. Gerade leben wir in einer Zeit, in der körperliche Berührungen zwischen nicht in einem Hausstand lebenden Menschen zu vermeiden sind. Abstand halten ist angesagt. Wodas kaum geht,wie im Altersheim oder Krankenhaus, da braucht es besondere Vorkehrungensich und andere zu schützen. In der Zeit Jesu galt die Berührung der Wunde eines Menschen als rituelle Verunreinigung. Was göttlich war, das galt für frommeMenschen überhaupt als unberührbar. Daran kann man messen, wie revolutionär das ist, was sich da zwischen Thomas und dem Auferstandenen abspielt.

Für den Evangelisten Johannes und die meisten Christen ist Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch. Für mich ist es gerade die herausragende Größe unseres Christengottes, dass er sich von Menschen anrühren und,soweit das Menschen überhaupt möglich ist,auch erforschen lässt.Deshalb ist er ja Mensch geworden, dass wir sehen und erkennen können, wasGottin seiner Menschenfreundlichkeit tut, was er von uns erwartet, wie ernst er es mit uns meintund wie nahe er uns sein will.In der Nachfolge des Thomas sind wir aufgefordert, nach Gott zu fragen, über ihnnachzudenken–selbstkritisch -und uns ihm auch forschend zu nähern. Zweifel sind statthaftund nach wissenschaftlichen Prinzipien betriebene Wahrheitssuche ist ein legitimer Weg verantwortungsvoller Theologie. Glauben aber muss am Ende jeder aus eigenemHerzen, indem wir wahrnehmen, wie Er uns berührt.

Amen.

Bild: Michelangelo Merisi Caravaccio, 107 x 146 cm, gemalt etwa 1602, Ausstellung: Schloss Sanssouci, Potsdam


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